Mit kaum einem anderen Wort konnte man mich so verletzen, wie mit „Zicke“. Die einzige
Steigerung: „Hast du deine Tage?“
Es steht dafür, mich gegen etwas zu wehren und nicht ernst genommen zu werden.
Also tat ich alles, was ich mit 17 wusste, um nicht als Zicke gesehen zu werden. Ich hörte auf,
mich zu wehren. Interessant ist hier im Nachhinein, wie selbstverständlich Menschen dies zu
Frauen sagen und wie groß der Protest ist, sagt man dies zu einem Mann. „Männer können keine Zicke sein“, hörte ich in den meisten Fällen, wenn ich es doch sagte. Wenn Männer für die Offenbarung ihrer Gefühle verurteilt werden, nennt man sie „Mädchen“ oder „Unmännlich“.

Du bist ja schließlich ein Mädchen

„Natürlich machen wir uns um dich mehr Sorgen, als um deinen Bruder, wenn du nachts
unterwegs bist, du bist ja auch eine Frau.“ „Wenn du so hohe Schuhe anziehst, darfst du dich
nicht wundern, wenn Männer dir hinterher glotzen.“ „Mach dir nichts draus, dass du so schnell heulst, du bist ja schließlich eine Frau.“ Frauen sind schwach, zu sensibel und können sich nicht wehren. „Willst du wirklich nicht als Prinzessin an Fasching gehen?“
Nein, wollte ich nicht.
Ich ging als Hexe Hukla, die nach Frankreich verweht wurde, dort eine Freundin fand, durch die sie Französisch lernte und dann alleine wieder nach Hause gefunden hat. Ich ging als Piratin mit gestreifter Hose und Säbel. Ich ging als Jedi, die mit ihrem echt leuchtenden Laserschwert gegen die Hexen kämpfte.
Es war für meinen Bruder und mich ebenso normal, mit Barbie wie mit Actionfiguren zu spielen. Wir haben uns spielerisch geprügelt und mit rosa Tüll verkleidet. Meine Kindheitshelden waren nicht Dornröschen, Schneewittchen oder Rotkäppchen. Märchen,
wo die Frau auf den rettenden Ritter wartet, fand ich langweilig. Meine Vorbilder waren George von den Fünf Freunden, Sprotte von den Wilden Hühnern oder Ponny Hütchen von Emil und den Detektiven.

Keine Partykleider

Ich will beides sein - weiblich und stark.
Nur, dass sich mit der Zeit immer mehr herausstellte, dass das gar nicht so einfach ist.
Ich erinnere mich daran, wie ich mit 8 mal auf einen Baum klettern wollte und das nicht ging, da ich ein Kleid anhatte. Daraufhin trug ich zwei Jahre lang ausschließlich Hosen. Es konnte ja sein, dass ich mal wieder auf einen Baum klettern will.
Mit 14 begann ich einen Tanzkurs. Zweimal wöchentlich traf ich mich mit meiner damals besten Freundin in der Tanzschule - einmal für den Kurs und einmal für die Party am Samstagabend. Dies war der Ort, an dem ich vom Kind zur Jugendlichen wurde. Dort fand ich erste Partys, erste Erfahrungen mit Alkohol, erste Flirts, meinen ersten Kuss und meinen ersten Freund. Doch im Gegensatz zu meiner besten Freundin trug ich keine knallengen Miniröcke und weite Ausschnitte. Immerhin trug ich wieder Röcke. Geblümte Vintage-Röcke, Röcke aus Tüll oder gepunktete Tellerröcke, um die mich einige Mädchen beneideten.
Ich wartete nicht darauf, dass die Jungs zu mir kamen, weil ich ihnen verführerische Blicke
zuwarf, sondern stand auf und fragte sie selbst, ob sie mit mir tanzen wollen. Ich setzte nicht
darauf, meine Brust rauszustrecken und zu kichern, sobald ein Junge auf mich aufmerksam
wurde. Ich setzte darauf, jemand zu sein, mit der man lachen kann, die sich für Menschen
interessierte, darauf Individualität zu leben. Leider, so teilte mir eine Mädchen-Zeitschrift mit und bestätigte meine Ahnung, war ich für Jungs so nur der „Kumpel-Typ“. Und mein Lachen, ergänzte meine beste Freundin als gut gemeinten Ratschlag, sei viel zu laut.
In meinem Tagebuch findet sich eine Seite, auf der ich mir Gesten und Styles überlegt hatte, die dies ändern sollten. Da steht dann so etwas wie „grauer Minirock und Pailettentop, mit Wimpern klimpern und leicht lächeln“ oder „High Heels, pinkes Glitzerkleid und durch die Haare streichen“. Zum Glück habe ich das nicht weiterverfolgt, sondern erkannte vorher, dass ich nicht mit Menschen befreundet sein will, die mir sagen, dass andere Menschen, die nett zu mir sind, nur nett zu mir sind, weil sie Mitleid haben.

Punk und Jungsfreundschaften

Nach der Zeit der Tanzschule kam ich in eine Gruppe Punks und Emos, mit denen ich mich
regelmäßig traf. Ich lernte, meine Weiblichkeit auf meine eigene Weise zu betonen und dafür Anerkennung zu erhalten. Doch ich lernte auch, wie verletzlich ich dadurch wurde. Sobald ich die Anerkennung annahm und mich dem Jungen öffnete, wurde ich zurückgewiesen. Ich fürchtete ich mich davor, mich Gefühlen hinzugeben. Ich fürchtete mich davor, mich verletzlich zu machen.
Zeitgleich war ich tatsächlich mehr mit Jungs befreundet.
Immer wieder prügelte ich mich spielerisch mit diesen, nutzte dreckige Sprüche und legte alles daran, ebenso unkompliziert zu wirken wie sie. Mich als Gamerin auszugeben war mein knallenger Minirock. Und viele Jungs warteten geduldig alle zwei bis drei Minuten darauf, dass mein Charakter wiederbelebt wurde. Ich gab mich als Mädchen aus, das die gleichen Interessen wie Jungs hatte und fühlte mich damit sehr wohl. Cream on top war, wenn ich hinzufügte, dass ich bi war.

Überraschend sexy

Meine ersten sexuellen Erfahrungen mit Frauen waren es, die mir halfen, mich auf eine neue Weise auf meine Weiblichkeit einzulassen. Ich begann zu verstehen, was meinen weiblichen Körper ausmacht. Ich verstand nun nicht mehr nur, wie ich meine Reize einsetzen konnte, sondern auch, warum diese ein Teil unserer Schönheit sind. Wie überraschend unabstoßend es war, weiblich zu sein.
Ich hatte andere Mädchen zuvor als zickig und unselbstständig verurteilt. Ich projizierte
Eigenschaften, die ich an mir nicht sehen wollte auf mein Geschlecht. An alle Frauen: Es tut mir leid, dass ich euch Schwestern unterschätzt habe.

Die Frau im Haus

Mit dem Auszug Anfang 20 musste ich plötzlich Verantwortung für mich übernehmen und merkte: Ich kann das. Ich bin nicht abhängig davon, von einem Mann gesehen zu werden. Die ersten zwei Jahre lebte ich in einer Beziehung, in der ich den Haushalt allein machte, doch war es auch ich, die das Geld verdiente. Ich habe aus der Beziehung nicht nur gelernt, dass ich einen Mann an meiner Seite möchte, mit dem ich auf einer Ebene bin, sondern auch, dass ich stärker als Männer sein kann. Dass es nicht darum geht, ob man Mann oder Frau ist, sondern dass es darum geht, wie viel Verantwortung man übernehmen will.
Ich habe gelernt, dass dazu, Verantwortung zu übernehmen, gehört, sich mit sich selbst
auseinander zu setzen. Und seien wir ehrlich - Oft gelingt uns Frauen das früher, als Männern. Es liegt an uns selbst - Männern wie Frauen - herauszufinden, was wir brauchen. Und dann dafür einzustehen. „Gebraucht zu werden“ als Handlungsmotivation führt nicht zu Akten der bedingungslosen Fürsorge, sondern zu einem egoistischen Handeln, um Anerkennung zu erhalten. Denn Menschen brauchen andere Menschen, ja. Aber nicht weil andere Menschen für sie handeln, sondern weil sie sich einander wahrnehmen.

Wie wir einander brauchen

Bezüglich Partnerschaft stand nun nicht mehr das Bild eines Mädchens, das von den Jungen
bewundert wird und das sich ihre Aufmerksamkeit erkämpft im Zentrum. Mädchen zu sein, hieß auch nicht weiter, Jungen neben all den anderen Mädchen den Jungen das Gefühl geben zu müssen, ihn zu brauchen. Auch wenn es noch ein paar Jahre dauerte, bis ich lernte, das zu leben, verband ich mit Partnerschaft nun vielmehr eine gleichwertige Beziehung, in der beide Partner sich im Alltag unterstützen. Eine, bei der ich nicht ständig perfekt geschminkt sein musste, sondern auch mal den ganzen Tag im Bademantel verbringen konnte und am nächsten Tag so unsexy Dinge tat wie Biomüll wegbringen. Nach und nach verstand ich, was Weiblichkeit für mich bedeutete und was ich damit verband, Gesichtsmasken zu machen, RomComs zu gucken und Frauenzeitschriften durchzublättern. Ich ermöglichte es mir, zu entspannen und Gefühle auf eine leichte Weise zu betrachten. Ich erkor rosa als meine Lieblingsfarbe, rannte nicht mehr zum Friseur, sobald meine Haare länger als schulterlang waren und traf mich immer mehr mit Freundinnen statt mit Freunden. Selbst das Blond mochte ich inzwischen.
Ich fing an, mich wohl zu fühlen in Kleinen Schwarzen, Etui-Kleidern und Hosenanzügen. Ich fing an, meine Sneaker und Dr. Martens mit Pumps zu ersetzen und diese Seite an mir zu lieben. Bei jeder einzelnen meiner Beziehungen, war zumindest ein Teilgrund, warum die Beziehung nicht hielt, dass ich zu „intensiv“ sei. Stets meine Gefühle zu zeigen und das auch von meinem Gegenüber zu erwarten, sei einfach ein bisschen anstrengend und seltsam. Ich war immer jemand, die sehr tief gefühlt hat und darüber auch reden wollte. Damit meine ich nicht nur die Zuneigung gegenüber anderen, sondern alles. Kleine und große Gefühle. Meine ganze Welt dreht sich um Gefühle. Doch wir alle haben Angst vor „zu starken“ Gefühlen, bis uns klar wird, dass zu fühlen uns nicht von uns weg, sondern zu uns hinführt. Erst wenn wir uns trauen, unsere Gefühle ernst zu nehmen, können wir entscheiden, ob wir nach ihnen handeln wollen. Davor passieren die meisten Dinge unbewusst und selbstläufig.

Jemand, der meine Stärke liebt

Erst mit dem Menschen, der jetzt an meiner Seite ist, wurde mir klar, dass starke Gefühle keine Gründe sind, mich klein zu machen und dass, auch wenn ich manche Menschen damit
verschreckt habe, sich andere genau danach sehnen.
Und als er mich „stark“ und „mutig“ nannte, wurde mir klar, wie wenige Männer diese
Eigenschaften bei mir gesehen hatten und nicht aus Angst davon gelaufen waren.
Wie oft Gefühle zu zeigen als Schwäche interpretiert wird.
Ich habe angefangen, gesehen zu werden, als das, was ich bin.
Eine Frau, ja, aber noch so viel mehr. Ich hatte immer Angst, schwach, hilflos zu sein. Und wurde es durch genau diese Angst.
Weiblichkeit und Stärke widersprechen sich nicht. Stark zu sein bedeutet, nicht wie ich lange
dachte, mich nicht verletzen zu lassen oder keine Probleme zu haben. Das, was alles änderte,
war, anzuerkennen, dass ich verletzt wurde und anzufangen, mich zu wehren. Auch wenn dies bedeutete, Menschen zu verlieren. Wenn wir von Sensibilität reden, sollten wir uns fragen:
Was gibt es mutigeres, als sich verletzlich zu zeigen? Was gibt es stärkeres, als zu sich, seiner Geschichte und seinen Gefühle zu stehen?
Von Sofie Woldrich

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