Wenn ich jemanden geliebt habe, wollte ich immer alles über ihn erfahren. Seine Ängste, seine Träume, seine Erfolge, seine Verluste. Die Vergangenheit, das, was ihn momentan bewegt, und die Zukunft, die er sich vorstellt. Alles, was die Person zu der Person macht, die sie ist. Leider kam das selten zurück - meistens hörte ich der Person zu, wie sie ihre Lebensgeschichte erzählte, doch sie stellte nie die gleichen Fragen an mich. Ich weiß, dass ich das nicht von jemandem erwarten kann, doch ich habe mir immer gewünscht, jemanden an meiner Seite zu haben, der die gleiche Faszination für mich aufbringt, wie ich für ihn. Oder zumindest von anderen Menschen erzählen zu können, ohne dass mein Gegenüber in Eifersuchtsanfälle verfällt. Nein, ich höre nicht gerne, wie jemand, den ich liebe, mit jemand anderem glücklich war. Aber es erklärt mir, warum die Person Dinge auf eine bestimmte Art wahrnimmt. Es erklärt mir, wieso die Person vor bestimmten Dingen Angst hat. Es erklärt mir, weshalb die Person bestimmte Erwartungen hat. Der Mensch, der jetzt an meiner Seite ist, stellt mir diese Fragen. Er hört mir zu, wie ich geworden bin, wer ich bin. 

Zuhören und aufeinander einlassen

Vieles davon weiß er auch bereits, ich muss ihm die Geschichte nicht neu erzählen. Wir kannten uns neun Jahre, bevor wir zusammen kamen. In dieser Zeit ist viel Wichtiges passiert und er war dabei. Manchmal denke ich mir, wie verrückt das ist. Wie oft wir uns dabei beobachtet haben, jemand anderes zu lieben. Es gibt trotzdem Geschichten, die wir nicht so gern voneinander hören. Auch er ist eifersüchtig und ich andersrum. Aber wir hören uns die Geschichten an, weil wir wissen, dass sie uns wichtig sind. Wenn ich jemanden liebe, will ich wissen, wer dieser Mensch wirklich ist. Mit dem, was er war, dem, was er jetzt ist, und dem, was er werden will. Dazu jemanden zu lieben, gehört meiner Meinung nach, jemanden ganz zu akzeptieren. Auch mit den Momenten, in denen er mit jemand anders glücklich war. Und ich bin so unendlich dankbar dafür, gesehen zu werden und trotzdem oder gerade deswegen geliebt zu werden. Aber ja, es bedarf Mut.

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